Digitalisierung und Hochschule: eine Hassliebe

tl;dr: Ich wurde vom Alumni- und Förderverein der Leuphana eingeladen am 17.07. in Hamburg einen kurzen Impulsvortrag zum Themenfeld Digitalisierung und Hochschule zu halten um einen kurzen Überblick über Digitalisierung & Hochschule, insbesondere mit Bezug auf Lehren und Lernen, zu geben.

Nach einigem inneren Hin und Her habe ich mich entschieden, nicht einen schnellen Überblick über bestimmte technologische Ansätze, einzelne Hochschulstrategien oder sogenannte Leuchtturm-Projekte zu geben. Vieles davon lässt sich ohne mein Zutun prima finden, durch clevere Internet-Suche oder durch den Besuch der Websites des Hochschulforum Digitalisierung, der OER Infostelle, von Wikimedia Deutschland, der Open Knowledge Foundation oder aber den Blogs derjenigen, die dort in irgendeiner Kapazität beteiligt sind.

Interessanter – gerade für ein Publikum, das sich nicht täglich mit digitalen Medien in der Lehre befasst –  ist für mich das Bild, das von digitalem Wandel an der Hochschule gezeichnet wird. Disruption, Unabwendbarkeit, Existenzbedrohung, Rückwärtigkeit einerseits; Primat der Präsenzlehre, Tradition der Hochschule, Evolution anstatt von Revolution, Gefahren von digitalen Medien insbesondere für junge Menschen, Schüler und Studierende andererseits. So wenig erkenntnisreich diese Narrative sind, so sehr ist man ihnen ausgesetzt wenn man sich als “Newbie” mit Digitalisierung und Hochschullehre beschäftigt oder nur ab und zu ein Interview in der Wochenendausgabe einer überregionalen Zeitung liest. Man fühlt sich schon fast zur Positionierung gezwungen zwischen Techno-Solutionismus und dem Abgesang auf die Hochschule einerseits und dem ständigen Beschwören von Gefahren des Neuen, dem unreflektierten Lob des “Altbewährten” und dem vermeintlich Analogen andererseits.

Analog vs. Digital

Der künstlich heraufbeschworene Gegensatz zwischen ‘analog’ einerseits und ‘digital’ andererseits ist ein wunderbares Beispiel unreflektierter Diskussionskultur – als läge darin irgendeine Art von Erkenntnisgewinn. Rein analoge Lehre und analoge Inhaltsvermittlung mag es in der Theorie geben (jemand kauft ein Buch aus der Zeit nicht-digitaler Buchherstellung im second-hand Buchhandel oder Antiquariat), aber das hat nichts mit Lehre oder Lernen an einer Hochschule zu tun. Ebenso wenig gibt es rein digitales Lernen, wenn es auch rein digitale Verteilung von Inhalten gibt. Um ‘analog’- und ‘digital’-Verfechter zu besänftigen, wurde der Begriff “blended learning” etabliert, ein Kompromiss, der nichts anderes tut als den Alltag zu beschreiben: die Verflechtung von digitalen Methoden (oft, zum Glück aber nicht immer, verstanden als ‘home learning’ oder ‘distance learning’) und analogen Methoden (meist die Präsenz-Phase) des Lernens.

Der Inverted oder Flipped Classroom ist eine Ausprägung hiervon. So sinnvoll dieses Modell der Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden sein mag, wenn es denn ‘richtig’ umgesetzt wird, so unsinnig ist es das als Revolution zu vermarkten. Sich jenseits des Seminars Wissen anzueignen und es vor Ort mit Lernenden und Lehrenden zu diskutieren, zu vertiefen, zu übertragen und weiter zu bearbeiten, ist kein neues Modell. Es ist eher antik. Dennoch schaffen es einige oft namhafte Institutionen und Personen dieses Modell auch in 2017 noch als neu zu vermarkten:

Hinzu kommt, dass in Fragen von analog vs digital stets mitschwingt, das eine sei pauschal besser als das andere. Wortgefechte gipfeln hin und wieder in Schreckens-Szenarien. Wer digitale Methoden nutzt, setzt Lernende Gefahren aus (digitale Abhängigkeit, Verdummung, Hass, Ausbeutung von Daten durch internationale Groß-Konzerne) und wer analoge Methoden in der Lehre einsetzt, ist rückständig, hat sein Berufsbild nicht verstanden, Digitalisierung schon überhaupt nicht. Beide Argumentationslinien führen höchstens zu einer Verhärtung von Fronten, zu finger-pointing.

Besser wäre es, gemeinsam mit Lehrenden und Lernenden etwaige Risiken (Sicherheit und Datenschutz sind hier sicher zu nennen) zu besprechen – ich würde immer den Standpunkt vertreten, dass im Bildungsbereich fahrlässig gehandelt wird, wenn das nicht geschieht. Gerade wenn es um digitale Methoden des Lehrens geht, sind wir von dem was die Körber Stiftung als Digitale Mündigkeit bezeichnet, noch sehr weit entfernt.

Der Einsatz sowohl von ‘analog’ als auch von ‘digital’ ist abhängig von Kontext und sollte bewusst entschieden werden – gemeinsam mit den Studis, die es letztendlich betrifft. Das eigentlich spannende sind dann die sich ändernden Verhältnisse der Lernenden zu dem jeweiligen Lernformat, der wahrgenommene Einfluss auf die Gestaltung, agency und ownership.  Continue reading →