Den Einstieg in Online Lehre finden: Geduld, Improvisation, Netzwerke suchen

Während im Kontext von COVID-19 Großveranstaltungen abgesagt werden zeichnen sich auch erste Auswirkungen auf Hochschullehre ab. Während Konferenzen und Barcamps abgesagt werden, bereiten sich viele Lehrende darauf vor, ihre Lehrveranstaltungen nicht wie gewohnt auf dem Campus, sondern online anzubieten.

Und während manche:r hofft, dies könne der Online Lehre zu größerer Wertschätzung und Aufmerksamkeit verhelfen, befürchten andere genau das Gegenteil: dass improvisierte und wenig durchdachte Formate, veranstaltet von überlasteten Lehrenden, eine ganze Generation Studierender und Lehrender abschrecken werden. Die Wahrheit wird vermutlich auf beiden Enden dieses Spektrums liegen, mit Ausreißern in beide Richtungen.

In den letzten Tagen haben viele Lehrende Tipps, Tricks und Hinweise geteilt. Manche davon möchte ich hier kurz auflisten.

Empfehlungen, Tipps und Tricks für Online Lehre

Jesse Stommel schreibt: eine lange Liste von Tipps kann unübersichtlich werden. Hier sein Twitter Thread in einem zusammenhängenden Text. Warum also nicht auf ein einfach gestaltetes Format für den Einstieg schauen? Digital Studies 101 illustriert vieles: er nutzt eine Blog Struktur, spricht die Studierenden weniger förmlich an als viele es von Webinaren und Online Kursen kennen und beweist so auch direkt: ein schlichter Transfer von On-Campus Lehrformaten zu digitalen Formaten ist nicht empfehlenswert. Die Art der Interaktion, der Arbeit in Gruppen, der Ansprache und vieles andere sollte gründlich überdacht und für den digitalen Raum angelegt sein.

Sean Michael Morris macht einen sehr wichtigen Punkt: Lehrende und Lernende werden sich umstellen und umgewöhnen müssen. Das erfordert Geduld auf allen Seiten. Geschwindigkeiten werden sich in der Zeit der Umgewöhnung ändern. Online Lernen ist nicht immer effizienter und, wer das ohne Einschränkung behauptet, hat meist ein sehr transaktionales Verständnis von Lernen. Lehrende müssen sich darauf vorbereiten, dass Dinge schiefgehen werden, improvisieren, und auf eingehende Fragen werden sie im Zweifel sehr viel schneller antworten müssen als sie das vielleicht bisher gewohnt waren. Hier Sean Michael Morris’ tweets in einem zusammenhängenden Text und hier ein etwas weiter führender Blog Post von ihm.

Tony Bates gibt hier recht klare Empfehlungen für einen Start. Nicht alle würde ich uneingeschränkt teilen. Aber wer sich das rauspickt, was in den eigenen Kontext passt, ist auch hier gut beraten:

  1. Beratung auf dem eigenen Campus suchen. Ich würde hinzufügen: es gibt Netzwerke und Einrichtungen jenseits des eigenen Campus, die helfen können. Das Hochschulforum Digitalisierung ist eine gute Anlaufstelle. Der #TwitterCampus ebenso.
  2. Die “richtige” Technologie suchen. Nicht jede Hochschule hat nach meiner Erfahrung die passende Software für jedes Szenario. Das liegt auch daran, dass Datenschutz als Ausrede benutzt wird, eine Software nicht zu beschaffen oder betreiben zu wollen. Glück haben die Hochschulen, die sowohl über ein nicht kaputtgespartes IT Zentrum als auch eine:n kooperative:n Datenschutzbeauftragte:n verfügen können. Hier werden nach meiner Einschätzung viele an Grenzen stoßen. Vielleicht ein guter Moment, die Hochschulleitung auf Missstände aufmerksam zu machen. Oft findet sich aber in Hochschulen eine Fakultät, die bereits Lösungen für Probleme gefunden hat, vor denen Lehrende anderer Fakultäten noch stehen. Sich intern zu vernetzen hilft.
  3. Sich organisieren: Das Learning Management System (LMS), bei all seinen Schwächen und Formalisierungen, kann ein guter Knotenpunkt sein, an dem zentrale und wichtige Informationen rund um die Organisation eines Online Angebots ausgetauscht werden.
  4. Lange Vorlesungen vermeiden. Das gilt online umso mehr als es in vielen Fällen auch auf dem Campus schon in Frage gestellt werden sollte.
  5. Auf den Workload der Studierenden achten: dieser Punkt ist besonders anschlussfähig mit den beiden vorhergehenden. Auch die Studierenden werden sich eingewöhnen müssen, brauchen für bestimmte Tätigkeiten länger und müssen sich organisieren. Das kostet Zeit und nerven.
  6. Vorlesungen insgesamt vermeiden: online finden sich andere Formen der Kollaboration und des Austauschs. Das kann sich auch in Prüfungs- und Studienleistungen wiederfinden.
  7. Unter den Umständen das beste rausholen: Das Netz lebt von Versionierung, von “better done than perfect”, von Verlinkungen, Tests und Feedback. Gute Lehre online bezieht das ein.
  8. Weitere Ressourcen: insbesondere den Post von Tannis Morgan werde ich auch hier einbeziehen (siehe unten).

Tannis Morgan hat hier aufgeschrieben wie ein ganzer Kurs nur über E-Mail organisiert werden kann. Ganz stimmt das nicht, auch sie nutzt Cloud Lösungen oder das LMS in ihren Szenarien. Sie beschreibt Bulletin Boards und vieles andere, das an jedem Campus oder als Open Source Software zur Verfügung steht.

Ilka Nagel hat bei der HFD Summer School einen Workshop zu Videofeedback in der Lehre gegeben. Ich nehme es hier noch einmal auf, weil sie auf einfache Weise “das menschliche Element” von Feedback und Lehre im digitalen Raum sichtbar macht und fokussiert.

Martin Weller listet in diesem Blog Post eine Reihe hilfreicher Ressourcen auf. Eins der Highlights ist aus meiner Sicht diese Liste von Mia Zamora und Maha Bali, die Care in den Fokus nimmt.

Wichtig: Martin Weller nimmt in einem weiteren Post auch die Perspektive der Studierenden ein. Insbesondere für diejenigen, die ihre Studierenden mit Tipps und Tricks versorgen möchten, finden sich hier gute Ideen.

An dieser Stelle (zunächst) genug von mir. Viele gute Ratschläge wiederholen sich. Nur eins noch: wer zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Lehrenden anderer Hochschulen vernetzt ist, sollte das schleunigst nachholen. Unter Twitter Hashtags wie

#TwitterCampus

#TwitterLehrerZimmer

#DigPed

#DigitalTurn

#OERde

#OER20

finden sich eine Menge freundlicher Menschen, die gerne helfen, Feedback geben oder ihre Lösungen aufzeigen. Das Hochschulforum Digitalisierung hat viele gute Ressourcen, auch regional findet sich immer wieder gutes, z.B. der ELAN e.V. in Niedersachen hat manches zu bieten. E-teaching.org, und welche Dynamik sich entfalten kann, wenn Menschen im Netz zusammenarbeiten, zeigt sich zum Beispiel auch unter dem Hashtag der spontan abgesagten Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik.

Update: 13.03.2020

Alan Levine @cogdog hat hier einige gute Punkte gemacht:

I don’t think we should at all be talking about “putting courses online.” What we are really faced with is coming up with some quick alternative modes for students to complete course work without showing up on campus. This does not call for apps and vendor solutions, but what the best teachers always do – improvise, change up on the fly when things change.

Improvisation, die Arbeit in Netzwerken und die Konzentration auf die Zusammenarbeit in verschiedenen Settings mit Studierenden: Annotation (z.B. mit hypothesis), direkter Austausch mit Studierenden, Online Sprechstunden in whereby und viele andere kollaborative Szenarien in geteilten Textdokumenten.

Eine Empfehlung von Dave Cormier, die sehr gut zu denen von Alan Levine passt: Wenn Du in Eile bist, vermeide Video Aufzeichnungen um jeden Preis.

Wer sich nach einer eingängigen Do/Don’t Liste sehnt, ist vielleicht bei George Veletsianos richtig. Er hat in bisher drei Beiträgen gute Einordnungen und Empfehlungen schnell lesbar zusammengetragen:

Tiny Tips #1: COVID-19 and Online Learning

Tiny Tips #2: COVID-19 and Online Learning

Tiny Tips #3: COVID-19 and Online Learning

Update 20.03.

Viele Listen mit Tipps und Ressourcen zum Einstieg in Online-Lehre kursieren im Netz. Und wie so oft ist die Verfügbarkeit der passenden Informationen im Netz nicht das Problem, sondern das filtern und bewerten: was passt für meinen Kontext, welches Bildungs- und Menschenbild liegt einem Ratschlag zugrunde? e-teaching.org hat eine gute Meta-Sammlung veröffentlicht. Das ist ein guter Startpunkt, vermutlich auch schon zu viel für den Anfang.

Anderswo kursieren Ratschläge zu “Virtueller Präsenzlehre”. Insofern nochmals der Rat auch an dieser Stelle:

  • so viel wie möglich asynchron machen (z.B. E-Mail, Foren), so wenig wie möglich snychron (z.B. Video Chats)
  • regelmäßige Check-ins mit den Lernenden anbieten, zum Beispiel in vorgegeben Sprechstunden
  • Nicht nur das Learning Management System nutzen, sondern auch an anderen Orten für Lernende ansprechbar sein (Telegram Gruppe, Slack, Twitter, Instagram, WhatsApp, Facebook) und das klar kommunizieren
  • Lernende untereinander vernetzen
  • jede E-Mail eines Unternehmens löschen, das die Lösung für die bestehenden Probleme verspricht; wer eine Lösung verspricht, ohne das Problem gehört zu haben, darf getrost ignoriert werden

NPR hat in einem kurzen Beitrag vom 19.03.2020 Sean Michael Morris und Robin DeRosa gesprochen. Sehr lesenswert.

 

 

PS: vor einiger Zeit habe ich einen Blog Post geschrieben, der vielleicht auch die eine oder andere gute Idee enthält. Manches dort ist aber etwas out of date.

Header Image von Alan Levine via Flickr unter Public Domain.

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