1-2-4-all: In der Gruppe Meinungen, Fragen und Ideen sichtbar machen

Zu Beginn meiner Arbeit am WZB habe ich einen internen Blog ins Leben gerufen, in dem wir Tipps und Erfahrungen austauschen können. Es geht um Fragen digitaler und mobiler Zusammenarbeit sowie um konkrete Tipps und Tricks mit Software und Hardware. Ein eher von der Gemengelage am WZB unabhängiger Post bezieht sich auf die manchen sicher bereits bekannte Methode “1-2-4-all” aus den Liberating Structures. Hier der Post, vielleicht finden ja auch Menschen außerhalb des WZB daran gefallen.

In meiner Arbeit innerhalb und außerhalb des WZB mache ich regelmäßig zwei Beobachtungen, wenn ich an Videokonferenzen mit größeren Gruppen teilnehme: 1. Meinungsbildung folgt oft klaren Mustern und große Gruppen orientieren sich an Meinungsführer:innen. 2. In großen Videokonferenzen sehen wir zwar viele Mitglieder der eigenen Organisation, aber wir kommen selten mit ihnen ins (informelle) Gespräch.

Bevor ich zum Lösungsvorschlag komme, vielleicht noch 2-3 Sätze zu beiden Beobachtungen:

  1. Die Meinungsbildung in größeren Gruppen leidet oft darunter, dass einige wenige die Chance ergreifen, ihre Meinung oder Haltung zu kommunizieren. Andere haben dann erst nach den (vermeintlichen) Meinungsführer:innen die Chance, sich zu äußern. Dieses Phänomen ist natürlich nicht in jeder Gruppe gleich stark ausgeprägt, aber dennoch zu beobachten. Es führt dazu, dass wir die Stärke der Gruppe, ihre Meinungsvielfalt, nicht nutzen. Und es kann auch dazu führen, dass jemand mit Selbstbewusstsein und Halbwissen über eine Frage bestimmt, von der sie:er keine Ahnung hat.
  2. Findet eine Online-Besprechung mit einer großen Gruppe (über 10-15 Teilnehmende) statt, so kommen nach und nach die Teilnehmenden hinzu. Manche sind zu hören und zu sehen, manche nicht. Die Hürde, vor dem eigentlichen Beginn eines Termins ein informelles Gespräch zu beginnen, ist groß, vermutlich auch weil alle anderen ja dabei zuhören würden, wie ich die Kollegin z.B. nach dem Wohlbefinden ihres Hundes frage und mir das unangenehm ist. Und dabei sind doch auch diese Gespräche allein schon deswegen wichtig, weil sie uns Informationen darüber geben, mit welcher Haltung und Stimmungslage andere Teilnehmende an einem bedeutsamen Termin teilnehmen werden. Der Effekt, z.B. in Zoom, ist dann: Teilnehmende sehen sich gegenseitig, treten aber nicht in den Austausch. Vor Ort in der Kohlenstoffwelt würden wir das lösen, indem wir kleine Grüppchen bilden, Blickkontakt suchen und uns kurz austauschen.

Was ist 1-2-4-all?

Mit 1-2-4-all können wir beiden oben beschriebenen Phänomenen gleichermaßen begegnen. Die Methode ist umfassend auf der Website Liberating Structures dargestellt, daher hier nur die Kurzfassung, in der ich auch die Umwandlung in einem Online-Meeting vorschlage:

  1. Sobald die Gruppe vollzählig ist, stellt die:der Moderator:in eine Eingangsfrage. Das kann das Urlaubsziel des letzten Sommers sein oder eine inhaltliche Frage, mit der die Meinungsbildung zum Thema der Besprechung verfolgt wird.
  2. Alle im Termin nehmen sich etwas Zeit und machen sich zu der Frage eigene Gedanken. Je nach Tiefe und Breite der Frage ist auch das Zeitkontingent für diesen Schritt zu wählen.
  3. Im nächsten Schritt lost die Moderation alle Teilnehmenden in Breakout Rooms. Vorab wiederholt sie die Frage, gibt den Zeitrahmen vor und macht deutlich, dass die Redeanteile möglichst ähnlich sein sollten. Die Teilnehmenden tauschen ihre jeweiligen Gedanken oder Positionen in Tandems aus.
  4. Es kommen wieder alle im Hauptraum der Videokonferenz zusammen. Die Moderation teilt nun wieder die Gruppe in randomisierte Breakout Rooms à vier Personen auf. Hier ist es nicht wichtig, dass die Tandems aus dem vorherigen Schritt stabil bleiben. Darauf sollte aber hingewiesen werden, denn es ist nach meiner Beobachtung oft die Erwartungshaltung der Gruppe. Es sollte auch mehr Zeit eingeräumt werden als im vorherigen Schritt, denn der Austausch in der Vierergruppe dauert naturgemäß länger, wenn alle gehört werden sollen.
  5. Im letzten Schritt treffen sich alle Teilnehmenden wieder im Hauptraum der Videokonferenz. Abhängig von der Gruppengröße können nun Sprecher:innen der Vierergruppen das Meinungsbild ihrer Gruppe vorstellen. Wenn das aufgrund der Gesamtzahl von Vierergruppen aber den zeitlichen Rahmen sprengt, bietet sich ein gemeinsames Board oder Dokument an, in dem die Stimmungen, Haltungen und Meinungen der Gruppen zusammengetragen werden können. In jedem Fall sollte gerade dieses Zusammentragen von Stimmen Aufmerksamkeit erfahren – sonst hätten wir uns das Ganze sparen können.

Mit 1-2-4-all haben wir eine unkomplizierte Abfolge von Schritten, die Meinungsbildung und informellen Austausch ermöglicht. Dass das Zeit kostet, versteht sich von selbst, und nicht jede Videokonferenz muss so ablaufen. Das Format in der eigenen Organisation oder auch in Workshops immer wieder einzustreuen, kann aber auch die Bildung des sozialen Kitts einer Organisation fördern.

Über Berichte von eigenen Erfahrungen freue ich mich wie immer hier in den Kommentaren oder in der nächsten gemeinsamen Videokonferenz. Mit welchen Methoden zur Online Meinungsbildung hast Du gute Erfahrungen gemacht?

 

Beitragsbild: Bundesarchiv, Bild 102-14027 / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *